
Zugausfälle! Verspätungen! Bahnchaos!
In einem offenen Brief an den Bundestag lässt jetzt ein Lokführer aus Mannheim Dampf ab! Der 50-Jährige (möchte nicht namentlich genannt werden) berichtet über jahrelanges Missmanagement bei der Bahn, Geldverschwendung und Fehlplanungen. Er selbst werde behandelt „wie der letzte Dreck“.
Auszüge aus dem Brief:
Ich bin Lokführer aus Leidenschaft seit fast 30 Jahren, ein 100 Prozent überzeugter Vollblut-Eisenbahner mit Leib und Seele, der schon sehr lange über den mittlerweile besorgniserregenden Zustand der Bahn entsetzt ist.
Wie konnte es nur soweit kommen ?
Was ich in den vergangenen 20 Jahren mit ansehen musste, ist ein Albtraum, aus dem es scheinbar kein Erwachen gibt. Man denkt sich immer, schlimmer können es „die da oben“ doch nicht noch machen – aber weit gefehlt, unsere Manager können das mit Leichtigkeit. Mit dem, was seit 1994 alles schief gelaufen ist, könnte ich dicke Bücher füllen.
Was haben wir nicht alles an Umstrukturierungen über uns ergehen lassen müssen, die haben allesamt nichts gebracht, sondern es von Mal zu Mal nur noch verschlimmert.
Externe Beraterfirmen hinzugezogen, die von der Eisenbahn nicht den blassesten Schimmer haben. Die Consulting Agenturen haben der DB nichts gebracht, außer unnütz ausgegebenes Geld. Deswegen habe ich über die Jahre hinweg immer mehr den Eindruck gewonnen, als ob unsere „studierte Elite“ nicht mehr die notwendigen Fähigkeiten besitzt, die anstehenden Probleme adäquat zu lösen.
Es kommt mir langsam so vor, dass die nicht mehr genug verstehen, kennen alles nur aus der Theorie, haben keine Ahnung. Es fehlt halt ganz einfach das praktische Wissen.
Ich arbeite zur Zeit bei DB-Cargo, war vorher bei DB-Regio, habe die Fahrberechtigung für 30 verschiedene Baureihen und etwa 1,5 Millionen Kilometer hinter mir. Inzwischen habe ich viel zu oft eine 6-Tage-Woche mit bis zu 55 Stunden Arbeitszeit und schiebe mehr als 400 Überstunden vor mir her (es gibt Kollegen die haben 700) – wegen chronischem Personalmangel, wegen jahrelanger verfehlter Personalpolitik unserer ach so tollen Führung. Ich fühle mich mittlerweile ausgequetscht wie eine Zitrone.
„Ich fühle mich wie der letzte Dreck“
Das alles verantwortet von unserer unfähigen Führung, angefangen 1994 mit dem Herrn Dürr (AEG Elektro), Ludewig (Agrarier), Mehdorn (Heidelberger Druck), Grube (Auto & Flugzeug) – auf jeden Fall alles keine Eisenbahner, die irgendeine Ahnung vom Betrieb gehabt hätten.
Mein letzter Krankentag war im Februar 2004, also vor 15 Jahren, seitdem komme ich brav jeden Tag auf die Arbeit. Ich bin so frustriert, demotiviert, überarbeitet, übermüdet, schleppe mich von Schicht zu Schicht. Ich fühle mich als verbeamteter Lokführer bei der DB-AG behandelt wie der „letzte Dreck“.
Unsere Pausen- und Aufenthaltsräume sehen manchmal aus wie unter aller Sau, muten an wie aus dem vorigen Jahrhundert, es gibt sogar welche ohne WC – ein absolutes Unding! Das Soziale hat sowieso stark nachgelassen. Früher war die Kantine im Frankfurter Hbf die ganze Nacht offen, man bekam selbst um Mitternacht noch eine vollständige, warme Mahlzeit. Unzählige Kantinen wurden inzwischen geschlossen. An die Mitarbeiter, die im Schichtdienst arbeiten, denkt keiner mehr.
Ich fuhr letztens mit dem DB-Regio (IRE 19042) von Stuttgart nach Karlsruhe. Kurz hinter Weingarten/Baden ging die Klimaanlage aus. Aha, dachte ich: Hauptschalter gefallen. Wenig später Durchsage vom Zugführer: Wegen einer technischen Störung auf der Lok verschiebt sich unsere Weiterfahrt auf unbestimmte Zeit. So so !
„Unser Zugpersonal kann einem leid tun“
Nach 30 Minuten bin ich zum Lokführer gegangen, wir haben versucht den Stromabnehmer zu heben – erfolglos. Zu zweit gelang es uns nicht, die Lok wieder zum Laufen zu bringen, obwohl wir alles versucht haben, unmöglich. Die Computerdisplays haben ja noch nicht einmal eine Störung angezeigt. So viel zu Digitalisierung.
Wir schaffen es ja noch nicht einmal, unsere Lok's störungsfrei zum Laufen zu bringen. Softwarefehler, Digitalisierung, wozu soll die gut sein? Im Klartext: Die Lok „BR 147“ ist Schrott und gehört auf den Müll. Warum konstruieren und bauen unsere Ingenieure solche fehlerhaften Lokomotiven ?
Wir standen von 21.45 Uhr bis kurz nach Mitternacht auf der freien Strecke, haben uns dann von einer Lok vom Fernverkehr abschleppen lassen müssen. Peinlich hoch drei! Da schämt man sich als Eisenbahner in Grund und Boden. Unser Zugpersonal kann einem leid tun, sie bekommen den ganzen aufgestauten Frust der Fahrgäste direkt zu spüren, obwohl sie für die Versäumnisse keinerlei Schuld tragen.
Ein anderes Mal sollte ich einen Güterzug von Offenburg nach Mannheim fahren. Es war der Feierabendzug und da meine Schicht über 11 Stunden war, wollte ich den wenigstens pünktlich fahren. Der Zug war fertig. Anhängen, Bremsprobe, lief alles glatt, wollte mich abfahrbereit melden um 19:00 Uhr.
Dann große Überraschung: Fahrdienstleiter teilt mir mit, mein Zug wird vom Rangierbahnhof Mannheim wegen Kapazitätsproblemen verweigert! Wenn man mit einem fix und fertigen Zug im Startbahnhof nicht abfahren kann, weil es im Zielbahnhof keine freien Gleise gibt – dann ist ein absoluter Tiefpunkt erreicht. Wie stellen die Chefs sich das denn vor? Soll ich auf der Lok übernachten und meine Hängematte oder Luftmatratze mitnehmen und darauf warten bis der Rangierbahnhof irgendwann freie Gleise hat und meinen Zug abruft?
Die Krönung: Ich wollte wieder nach Hause, am Bahnsteig stand aber noch ein Personenzug, der längst hätte abfahren sollen – kein Personal! Am Ende hatte ich in meiner Schicht von mehr als 10 Stunden einen Zug sechzig Kilometer von Freiburg nach Offenburg gefahren. Wirklich sehr wirtschaftlich!
